
Lin Yutang
Mein Land und mein Volk
Euro 29.95
ISBN: 978-3-943314-12-0
Lin Yutang: kritischer Journalist, Romancier, Linguist, Philosoph, Bildungsbürger, intimer Kenner chinesischer und europäischer Literatur, rastlos und umtriebig im besten Sinne, verfasste 1935 sein Buch „Mein Land und mein Volk“ in den großen Wirren der Auseinandersetzung zwischen der Guomindang/Tschiang-Kaishek und den Kommunisten/Mao Tsedong. Der Autor war hin-und hergerissen als Beobachter eines gewaltigen Umbruchs und schlug sich auf die Seite Tschiang-Kaisheks. Dies entfremdete ihn schließlich Pearl S. Bucks, die Lin zur Abfassung einer Studie über China, das Land und dessen Menschen angeregt hatte. Buck meinte, nur ein Chinese, der auch die westliche Kultur kenne und die englische Sprache absolut beherrsche, könne dem Leser tiefe Einblicke in das Wesen des Reichs der Mitte vermitteln. Lin legte ein philosophisch reflektiertes Buch vor. Seine Aufenthalte in den USA, Deutschland und Frankreich ermöglichten ihm, aus gewisser Distanz, oftmals ironisch, seine Landsleute zu charakterisieren. Die Unterschiede in dem riesigen Vielvölkerland, die Traditionen der Minderheiten, Literatur, Geschichte, Sprachenvielfalt, die Ideale seines Volkes: All dies beschreibt Lin mit Abstand und zuweilen bissigem Humor. „Da haben wir auf der einen Seite den Nordchinesen, einen klar denkenden, abgehärteten Burschen, groß und kräftig, gesund, munter und gut gelaunt, einen Zwiebelesser und Spaßmacher…“ Im Süden dagegen „ kleingewachsene Männer…nervenschwache Frauen, mit Vogelnestersuppe und Lotussamen aufgepäppelt.“(S. 71 f.). Stets zieht er Beispiele aus der klassischen chinesischen Literatur/Poesie und Geschichte heran und schlägt einen Bogen zu westlicher Literatur/Geschichte. Die Spannweite reicht von Aristophanes bis zu Shaw. Lin führt den Leser in die Denkschulen der Legalisten, Daoisten und Buddhisten ein und zeigt auf, dass sich die chinesischen Lehren nicht auf den Konfuzianismus reduzieren lassen. Einen besonderen Blick hat Lin auf die Rolle der Frauen, wobei er sich überwiegend auf die wohlhabendere Schicht bezieht. Kurtisanen, Konkubinen und Ehefrauen haben ihre sehr eigenen Rollen in der Welt der Männer. Zwischen Kommunismus und Guomindang musste die Entscheidung fallen. Lin setzt sich mit dem Thema der Demokratisierung Chinas in den Kapiteln „Soziale Klassen“ und „System des Dorfes“ auseinander. Er kommt zu einer sehr eigenen Sicht „Das chinesische Volk versteht sich, wie es in langen Zeitabläufen bewiesen hat, ausgezeichnet selber zu regieren. Wenn die sogenannte „Regierung“ das Volk nur in Ruhe lässt – das Volk wird umgekehrt der Regierung nichts Böses antun.“ (S. 279) Das Erhellendste – auch auf die Gegenwart zutreffende Kapitel „Von Herrschaften regiert werden“, zieht den Leser in seinen Bann. Ein Satz prägt sich besonders ein, dass China nicht mehr Sittlichkeit – heute oft als moral education zu vernehmen – sondern eine größere Anzahl Gefängnisse für Politiker brauche. In „Der Ausweg“ urteilt Lin über den Sinn oder Unsinn der Einführung von – der im Westen hoch gelobten – Demokratie in China. Er wünschte sich eine Herrschaft der Gerechtigkeit, ohne Korruption. 1935 sah Lin sein Land zerrissen. Doch allen Anfechtungen zum Trotz stellt er fest, dass Chinas Menschen Jahrhunderte des Krieges, Seuchen, Unbilden der Natur und menschliche Misswirtschaft mit „grimmigem Humor“ ertragen haben. China hat sich seine Seele bewahrt durch „die Poesie der Lebensgewohnheiten“ – so Lin im Prolog zum ersten Teil des Buches. Herausgeber Prof. Dr. Thomas Heberer, Seniorprofessor am Ostasieninstitut der Universität Duisburg-Essen und Professor an der Schule für Public Management der Zhejiang-Universität in Hangzhou in China, schlägt in der Neuauflage eine Brücke zum heutigen China. Seine Einführung macht deutlich, wie bedeutend und aktuell Lins Analysen sind. Welche Relevanz Lins Gedanken bis heute haben, zeigte sich vor Kurzem als Carsten Herrmann-Pillath, Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft Universität Witten/Herdecke, bei einer Podiumsdiskussion darauf hingewiesen hat, dass die jetzige Regierung mehr in die soziale Absicherung der Menschen investieren solle, damit es nicht wegen der krassen sozialen Unterschiede im Lande zu Unruhen kommen werde. Sein Gesprächspartner Yao Yang, Professor am China Center for Economic Research und Dekan der National School of Development an der University of Beijing und Berater der chinesischen Regierung erwiderte: Die Chinesen seien seit Jahrhunderten an soziale Unterschiede gewöhnt. Unter Xi Jinping habe jeder die Möglichkeit, sich seinen chinesischen Traum zu erfüllen. Carsten-Herrman Pillath stimmte zu und ergänzte: „Was die Bevölkerung verärgert: Wenn Wohlstand unter unfairen Bedingungen bei wenigen Mächtigen gebündelt wird.“ Auch deshalb habe die Regierung eine Antikorruptionskampagne gestartet. Stellte Pearl S. Buck in ihrem Vorwort 1935 fest, dass China „sich mit einem Sprung von der Zeit des primitiven Feldwegs unmittelbar bis ins Zeitalter des Flugzeugs (auf)gemacht hat“, so zeigt in der Neuauflage von 2015 das Titelblatt welch gewaltigen Spagat China zwischen einer jungen, aufstrebenden, westlich- orientierten Gesellschaft und den Hütern politischer Strukturen auszuhalten hat.
Der an China und seiner Entwicklung interessierte Leser sollte nicht versäumen, das vor nunmehr 80 Jahre zuerst erschienene Buch Lin Yutangs aufmerksam zu studieren. Es hat – auch nach vielen politischen Veränderungen – nichts an seiner Bedeutung zum Verständnis der chinesischen kulturellen, sozialen und historischen Entwicklungen verloren. (von der Nahmer)
Lin Yutang – Mein Land und mein Volk
aus dem Englischen von Wilhelm Süskind, Herausgegeben und Bearbeitet von Thomas Heberer unter Mitarbeit von Nora Frisch,
Drachenhaus Verlag 2015, ISBN: 978-3-943314-12-0