Das Reisen zum Chinesischen Neujahr in den Zeiten der Corona-Pandemie

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(von Leo Hubensteiner)

Das chinesische Neujahrfest, auch als Frühlingsfest bekannt, steht kurz vor der Tür. Der Beginn und Ende der Festivitäten leiten sich vom Mondkalender ab, entsprechend fallen die Festtage jedes Jahr variierend zwischen Mitte Januar und Mitte Februar. Wörtlich genommen beginnt in der Zeit natürlich noch nicht der Frühling, symbolisch wird allerdings das Alte hinter sich gelassen und das Neue willkommen geheißen (ähnlich wie mit dem Frühling an sich). Daher begrüßen die Chinesen und viele Südostasiaten in 2021 auch das Jahr des Stieres und sagen damit gleichzeitig Lebewohl zum Jahr der Ratte. Bei diesen Tieren handelt es sich um Tierkreiszeichen, die ebenfalls vom Mondkalender abgeleitet werden.

In gewöhnlichen Zeiten gehen mit den anstehenden Festtage Reiseaktivitäten von außerordentlichen Dimensionen einher. Um ein Gefühl für die Größenordnung des gesamten Reisevolumens zum Chinesischen Neujahr zu bekommen: Es ist die größte Menschenwanderung in der Neuzeit (vgl. Statistica 22.01.2020) und wird auch die Zeit der 3 Milliarden Reisen genannt (vgl. CNN 10.01.2020). 2019 machten sich 415 Mio. Reisende in China auf den Weg nach Hause (vgl. Statistica 22.01.2020). Im Vergleich dazu wurden 2019 in den USA zu Weihnachten und Thanksgiving (vergleichbar wichtige Festlichkeiten) 115.6 Mio. und 55.3 Mio. Reisende registriert.

Es ist in China Tradition, für die Feierlichkeiten in die Heimatstadt zurückzukehren, in der man aufgewachsen ist und wo normalerweise noch die Familie ist. Verstärkt wird dieser Trend durch die Armee von Wanderarbeiter sowie jungen Absolventen, die unter dem Jahr in den großen Städten arbeiten und für das Frühlingsfest nach Hause zurückkehren, um Zeit mit ihren Familien zu verbringen. Das führt dazu, dass viele bereits im Vorfeld zu dem Neujahrsfest nach Hause zurückkehren und entsprechend auch später wieder zurückreisen. Ab einem gewissen Wohlstandsniveau ist es inzwischen auch „chic“ geworden, während des chinesischen Neujahrs mit der Familie zu verreisen. Oft werden dafür Ziele in Südostasien auserkoren und die Reiseaktivitäten der Chinesen zum Neujahrsfest haben sich als wichtige Einnahmequelle im dortigen Tourismus etabliert.

Natürlich beeinflusst auch Corona das Frühlingsfest und das damit verbundene Reisen. Bereits in 2020 unternahmen die chinesische Behörden viel, um die Bevölkerung davon abzuhalten, in ihre Heimatstädte zurückzukehren und die Familien zu besuchen. Groß war die Sorge, dass die verdichteten Reiseaktivitäten stark zur Ausbreitung des Viruses beitragen. Die gleiche Sorge beschäftigt in 2021 wieder den Staatsapparat, aber auch viele Arbeitgeber. Letztere versuchen mit diversen Mitteln ihre Arbeiter und Angestellten vom Reisen abzuhalten. So werden etwa Bargeld-Prämien an Wanderarbeiter vergeben, welche bereit sind, nicht zu reisen. Andere Firmen sprechen starke Empfehlungen aus, auf das Reisen während der Feiertage zu verzichten. Sollten sich dennoch Angestellte entscheiden, zu reisen, so oft ist ein strikter Prüf- und Freigabeprozess über alle Hierarchien zu durchlaufen, wo oft gar erst eine Unterschrift des Geschaeftsführers den Antrag vollständig freigeben kann. Von staatlicher Seite werden diverse Anforderungen an das Reisen gesetzt, wie etwa die Voraussetzung, dass Reisende einen negativen Corona-Test vorweisen können. Auch Quarantäne-ähnliche Verordnungen können ein Mittel sein. Einige Städte versuchen mit einem erweiterten und kostenfreien Kulturangebot der Bevölkerung das Zuhause bleiben schmackhaft zu machen (vgl. BBC 28.01.2021).

Nichtsdestotrotz wird für 2021 mit 1,7 Mrd. Reisen gerechnet (vgl. Wirtschaftswoche, 19.01.2021).

Wie schwierig das Abwägen zwischen Tradition, Familie und Festlichkeiten auf der einen Seite und der Pandemieprävention auf der anderen Seite ist, zeigen auch die hitzigen Diskussionen in den USA und Deutschland. Während der Thanksgiving Zeit wurde in Amerika heftig diskutiert, wie und ob sich Familien- und Freundeskreise zum amerikanischen Erntedankfest treffen dürfen. Und auch die Debatten in Deutschland zum Zusammenkommen zu Weihnachten zeigt wie emotional das Thema sein kann.

Das chinesische Fruehlingsfest 2020 und 2021 wurde oder wird wegen also Corona anders gefeiert als sonst, da insbesondere das Reisen nicht mehr in dem Masse stattfinden kann wie zuvor. Grund Trübsal zu blasen besteht jedoch meiner Meinung nach nicht. Die Impfaktivitäten in China, aber auch in anderen Ländern stimmen einen hoffnungsvoll, dass die beiden Frühlingsfestjahre 2020 und 2021 als Anomalien und nicht als Norm in die Tradition des Neujahres eingehen. Und auch wenn unglücklicherweise uns und die chinesische Bevölkerung die Pandemie doch noch länger im Reisen einschränkt und uns unsere Feiertage anders verbringen lässt als sonst, können wir versuchen, diesem etwas Positivem abzugewinnen. Ein Vorbild dafür können sicherlich die Hauptakteure aus dem Werk „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marques sein: In ihrer selbst gewählten „Quarantäne“ finden sie fernab der Gesellschaft ihre so ersehnte Verbundenheit (vgl. Saarbrückener Zeitung 20.03.2020).

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